Kroatien um Luka Modrić vor dem EM-Aus: Ach, könnte er doch ewig sein (2024)

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Kroatien um Luka Modrić vor dem EM-Aus: Ach, könnte er doch ewig sein (1)

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Luka Modrić saß schon ausgewechselt auf der Bank, als das Unglück über Kroatien hereinbrach. Fassungslos blickte er auf den Platz, auf dem ihn gerade der Italiener Mattia Zaccagni mit einem kunstvollen Schlenzer wohl aus der EM befördert hatte. Dann begab er sich langsam zu den üblichen Handshakes nach Spielschluss. Mehrmals trafen sich seine Wege mit denen von Trainer Zlatko Dalić, jedes Mal gab es eine innige Umarmung, Modrić mit nacktem Oberkörper, der Coach im schwarzen Anzug.

Es war ein Bild des kultivierten Jammers. In der achten Minute einer viel zu langen Nachspielzeit wurde eine große Länderspielkarriere beendet. Oder doch nicht?

Bald nach Ende des 1:1 gegen Italien kam Modrić, 38, zur Presskonferenz. Der »Man of the Match« hat dort zu erscheinen, und zu dem war er gewählt worden. Eine schöne Sache, so ein Preis. Nur nicht, wenn man eigentlich nichts sagen kann.

Was er davon halte, dass er durch sein Tor zum 1:0 nun der älteste Torschütze der EM-Geschichte sei. Modrić, dessen Kopf so klein wirkt wie der ganze Mann, blickte leicht zur Seite. Es reichte nur zu einem Satz totaler Desillusion: »Ich konnte meinem Team leider nicht helfen mit dem Tor«, sagte er mit harter Stimme.

Vielleicht war es ganz gut, dass als nächster Fragesteller ein italienischer Journalist an der Reihe war, der mit allen üblichen Konventionen brach. Er hielt eine Eloge auf Modrić, die in der Aufforderung gipfelte, der Weltfußballer von 2018 möge bitte nie mit dem Fußball aufhören. Weil er zum Besten gehöre, was es in diesem Sport je zu sehen gegeben habe. Solche Huldigungen sind in einer Fragestunde eigentlich verpönt, aber nun gut, es wäre gelogen zu behaupten, dass der Mann nicht für viele im Saal sprach. Schon bei Modrićs Kommen hatte es spontanen Applaus gegeben.

Modrić wird geliebt, weil er alles besitzt, was dieses Spiel schön machen kann. Technik, Anmut, Verve. Und, weil er immer einfach nur Fußballer war. Keine Tattoos, keine Frisur(en). Keine Polemiken, keine Podcasts. Einfach nur Fußball.

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Die Eloge tat ihre Wirkung, sie holte Modrić aus der Düsternis, für einen Moment jedenfalls, sie trieb ihm Tränen in die Augen und lockerte seine Zunge. »Danke für diese wundervollen Worte, das sage ich aus tiefstem Herzen«, antwortete er. »Auch ich würde mir wünschen, für ewig auf dem Platz zu stehen. Aber irgendwann werde ich doch aufhören müssen. Wann, weiß ich nicht genau. Ich werde noch eine Weile spielen, aber mir bleibt nicht viel, also danke für diese Worte.«

Mit 40 Jahren noch eine WM?

Vielleicht war es noch nicht sein letztes Spiel für die kroatische Nationalelf, die er zum Vizeweltmeistertitel 2018 führte, ins Halbfinale 2022 und ins Nations-League-Finale 2023. Hätte man Letzteres nicht im Elfmeterschießen verloren, er wäre womöglich damals schon zurückgetreten, mit dem ersehnten ersten Titel der Landesgeschichte. Nun könnte es theoretisch sogar bei diesem Turnier noch als einer der besten vier Gruppendritten weitergehen, aber mit zwei Punkten und einer Tordifferenz von 3:6 müssten dafür in den nächsten Tagen einige Karambolagen zusammenkommen. Oder visiert Modrić gar die WM 2026 an? 40 wäre er dann. Jedenfalls noch ein Jahr weitermachen wird er bei seinem Verein Real Madrid.

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Modrić kann nicht vom Fußball lassen, so sehr liebt er ihn, so sehr will er ihn weiter auf seine Weise ehren. Auch, wenn es nur noch als Ersatzspieler ist, wie diese Saison bei Real. Einfach rational Adiós sagen, so wie sein Madrider Kompagnon Toni Kroos, das kann er nicht, und deshalb ist es für ihn auch keine Kategorie, ob er sich noch auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft befindet oder schon etwas dahinter.

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Bei dieser EM sah man in den ersten Spielen einen ungewohnt fehlerhaften Modrić. Ohne die gewohnte Spielpraxis fiel es ihm schwer, in die Gänge zu kommen. Doch gegen Italien gab er wieder den entschlossenen Leader. Von rechts nach links flanierte er durch das Mittelfeld und von links nach rechts, bis seine Mitspieler ihn von der engen italienischen Deckung freispielten und er einen Angriff übernehmen konnte. Und eingangs der zweiten Hälfte schien dann sein nächstes Heldenepos geschrieben zu werden. Modrić verschoss einen Elfmeter gegen den baumlangen Gianluigi Donnarumma, aber schon im nächsten Angriff tauchte er plötzlich im Strafraum auf und traf nach einer Parade von Donnarumma unter die Latte.

Modrić wollte nicht gehen, die Kroaten wollten nicht gehen. Es regneten noch mehr Bierbecher von den Tribünen, es wurden noch mehr Bengalos gezündet.

Eine Generation verschwindet

Kroatien, das war gegen Italien von Beginn an ein infernalisches Gesamtkunstwerk auf Rasen und Rängen. Wild entschlossen wirkten die Spieler schon bei der Hymne. Etliche Gelbe Karten fingen sie sich ein, nachdem sie in den ersten beiden Partien noch ohne jede Verwarnung geblieben waren. Die Kroaten waren wieder die bekannten Wettkampfmonster, und ihre Fans veranstalteten ein lärmiges Spektakel, als würde in Zagreb gespielt oder in Split und nicht in Leipzig.

Und Kroatien schien es wieder zu tun. Die Rede ist von einer Generation, die aus dem Ritt auf der Rasierklinge eine Existenzform gemacht hatte, bei den letzten beiden Weltmeisterschaften vier Elfmeterschießen gewann und immer wieder ihren Kopf aus der Schlinge zog. Ivan Rakitić, Mario Mandžukić oder Dejan Lovren sind aus dieser Generation längst abgetreten, Marcelo Brozović wurde im vorherigen Spiel gegen Albanien nach 45 Minuten ausgewechselt, Ivan Perišić kam gegen Italien erst in der zweiten Hälfte, und nach 80 Minuten war auch Schluss für Modrić.

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Dalić erklärte später, es sei seine Entscheidung gewesen. Modrić hätte schon noch gekonnt. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft: die anderen sollten es jetzt ohne ihn richten. Und eigentlich hatten sie alles im Griff. Die Fans begannen zu feiern. Obwohl der Ausgang noch unsicher war: Sie feierten, dass sie das von dieser Mannschaft noch mal erleben durften, so einen beherzten Auftritt eines so kleinen Landes.

Wieso Danny Makkelie aus den Niederlanden acht Minuten nachspielen ließ? Es blieb tatsächlich ein Rätsel. »Es gab nichts, was das gerechtfertigt hätte«, sagte Dalić, als er später den schwarzen Anzug gegen einen grauen Teampulli getauscht hatte, wie um wenigstens symbolisch gegen die Grabesstimmung anzugehen. Ob es solche Nachspielzeit auch gebe, wenn Italien vorn liegt oder Spanien, Portugal, fragte er rhetorisch: »Es nervt mich, dass Kroatien nicht respektiert wird.«

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Modrić wunderte sich auch, »ich weiß nicht, woher der Schiedsrichter die acht Minuten genommen hat«, sagte er, aber dabei beließ er es. Verschwörungstheorien sind nicht seine Art, außerdem spielt er bei Real Madrid, da hat er genug irrationale Wendungen auf der Sonnenseite erlebt. »Es ist unfair, dass wir so ausscheiden«, sagte er, es sei die grausamste Niederlage seit dem Viertelfinalaus im Elfmeterschießen 2008 gegen die Türkei. Aber Luka Modrić, der das Spiel so gut kennt und der ihm so viel gegeben hat, weiß schon, dass es so kommen kann: »Der Fußballgott ist nicht immer gütig.«

Mal sehen, was er mit ihm noch vorhat.

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